Artenreichtum und Gefährdungspotential
Im Nationalparkgebiet erfolgten bis 1998 umfangreiche Untersuchungen der Fauna und Flora. Dabei wurden insgesamt 1.726 Pflanzenarten festgestellt, die sich zu 90 Vegetationstypen und 44 Pflanzengesellschaften, davon 12 Wasserpflanzengesellschaften zusammenfassen lassen. Von den 1.726 nachgewiesenen Pflanzenarten sind 303, also 17,6 %, auf der Roten Liste der gefährdeten Farn- und Blütenpflanzen des Landes Brandenburg zu finden, 38 davon gehören zur Kategorie 1, also zu den direkt vom Aussterben bedrohten Arten. Darunter finden sich die Berg-Aster (Aster amellus), die Borstige und die Breitblättrige Glockenblume (Campanula cervicaria und Campanula latifolia), die Pfingst-Nelke (Dianthus gratianopolitanus), der Rauhaarige Alant (Inula hirta), der Berg-Heilwurz (Libanotis montana), das Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea) oder die kürzlich in Brandenburg erstmals nachgewiesenen Arten wie das Gelbscheidige Federgras (Stipa pulcherrima) und die Flaum-Eiche (Quercus pubescens), die ihren einzigen brandenburgischen Standort im unteren Odertal haben. 149 Arten sind auf der Roten Liste der Bundesrepublik Deutschland als bestandsbedroht verzeichnet. Die hohe Präsenz dieser in ihrem Bestand bedrohter Pflanzenarten zeigt die Bedeutung des Projektgebietes für den Arten- und Biotopschutz. Fast jede sechste Rote-Liste-Art des Bundesgebietes und 44,5% der Rote-Liste-Arten des Landes Brandenburg kommen im unteren Odertal vor, wobei die bestandsbedrohten Arten gleichmäßig auf die Feucht- und Trockenstandorte verteilt sind.
Für die Erhaltung von 14 im Projektgebiet wachsenden Pflanzenarten trägt die Bundesrepublik Deutschland eine besondere Verantwortung, da diese ausschließlich oder fast nur hier vorkommen, bei abnehmender Tendenz. Beispielsweise liegen hier vier von fünf in Deutschland und Brandenburg bekannten Fundorten des Sand-Federgrases (Stipa borysthenica). Die Erhaltung dieser Federgrasart ist ausschließlich hier und in angrenzenden Gebieten möglich. Sie ist daher eine der naturschutzfachlich bedeutsamsten Arten des Gebietes.
Als Ergebnis einer zusammenfassenden, naturschutzfachlichen Wertung kann festgehalten werden, dass die seltenen Pflanzengesellschaften ganz überwiegend in den Trockengebieten des Hügellandes und im Odervorland zu finden sind, während sich in den Poldern eher häufige Pflanzengesellschaften finden.
Pflanzengeographie
Auch aus pflanzengeographischen Gründen ist das untere Odertal von herausragender Bedeutung. Mit dem Flachblättrigen Mannstreu (Eryngium planum), der Glanz-Wolfsmilch (Euphorbia lucida) und dem Tataren-Leimkraut (Silene tatarica) erreichen Stromtalpflanzen aus den kontinentalen Bereichen Europas und Asiens das Odertal und finden hier genau wie beispielsweise das Natternkopf-Habichtskraut (Hieracium echioides) und die Sibirische Glockenblume (Campanula sibirica) in den Trockenrasen die absolute Westgrenze ihrer europäischen Verbreitung. Mit dem Vorkommen dieser Arten werden floristisch die oben beschriebenen kontinentalen Klimaeinflüsse belegt.
Die nur in Nordeuropa verbreitete Sand-Nelke (Dianthus arenarius) erreicht im unteren Odertal ihre Südwestgrenze. Der individuenreiche Standort um Gartz hat deutschlandweit eine besondere Bedeutung.
Von den boreal-zirkumpolaren Arten sind dagegen in bodensauren Wäldern und in den nährstoffreichen Verlandungsmooren eine ganze Reihe von Arten präsent. Hierher gehören beispielsweise viele Wintergrüngewächse (Pyroloceae), einige Riedgrasgewächse (Cyperaceae), beispielsweise die sogar relativ häufige Schnabel-Segge und die Blasen-Segge (Carex rostrata, Carex vesicaria) oder das im Sommer so schön blühende Sumpf-Herzblatt (Parnassia palustris), das entgegen seinem Namen im unteren Odertal vor allem auf Trockenrasenstandorten zu finden ist.
Echte „Atlantiker“ gibt es an der unteren Oder nicht mehr, weil die Temperatur im Jahresmittel und die Niederschlagsmengen schon stark vom Meeresklima abweichen. Nur einige subatlantisch-nordische Arten sind auch im unteren Odertal zu finden. Hierzu gehören das Silbergras (Corynephorus canescens), der Besenginster (Sarothamnus scoparius), der Haar-Ginster (Genista pilosa), die Wald- und die Sand-Segge (Carex sylvatica und Carex arenaria), die Besenheide (Calluna vulgaris) und die Frühe Haferschmiele (Aira praecox).
Submediterrane Pflanzen sind nur mit wenigen Arten vertreten, sie haben aber im unteren Odertal, viele hundert Kilometer von ihrem geschlossenen Verbreitungsareal entfernt, ein deutliches Häufigkeitszentrum. Als solche wären das Purpur-Knabenkraut (Orchis purpurea) und die auf deutscher Seite der Oder erst kürzlich wieder aufgefundene Flaum-Eiche (Quercus pubescens) zu nennen.
Groß ist dagegen die Gruppe der Pflanzen, die sowohl in den osteuropäischen Pflanzengesellschaften als auch in den Trockenwäldern und Trockenrasen des südlichen Europas verbreitet sind. Hierzu gehören, außer den bereits genannten, so seltene Arten wie das auffällige und berühmte Frühlings-Adonisröschen (Adonis vernalis), der Kreuz-Enzian (Gentiana cruciata), die Purpur-Schwarzwurzel (Scorzonera purpurea), das Große Windröschen (Anemone sylvestris), einige Sommerwurzarten (Orobanche purpurea, Orobanche lutea und Orobanche arenaria), die Zottige Fahnenwicke (Oxytropis pilosa), die im Herbst so prächtig blühende Hirschwurz (Peucedanum cervaria) oder auch die Elsbeere (Sorbus torminalis), die als Baum ein gewaltiges Alter erreichen kann.
Zwei montane Laubwaldarten sollen den pflanzengeographischen Teil beschließen: Das Ende Mai blühende Christophskraut (Actaea spicata) und die Zwiebel-Zahnwurz (Dentaria bulbifera) mit ihren kleinen bräunlich-violetten Brutzwiebeln in den Blattachseln. Sie sind nur in sehr natürlich aufgebauten Ahorn- und Buchenwäldern zu finden.
Pflanzensoziologie
Interessanter noch als die einzelnen Pflanzenarten sind die entsprechend den biotischen und abiotischen Faktoren zusammengesetzten Pflanzengesellschaften. Trotz zahlreicher Einzelarbeiten auf deutscher wie polnischer Seite existiert bisher noch keine vollständige monographische Untersuchung. Bisher wurden 115 Assoziationen erfasst.
In den natürlichen Altwasserresten der Oderaue, den Kolken, den Kanälen und den Gräben sind Wasserpflanzengesellschaften anzutreffen, die infolge abnehmender anthropogener Einflüsse in den letzten Jahren deutlich an Qualität gewonnen haben. So tauchte mit dem Faden-Laichkraut (Potamogeton filiformis) wieder eine Art auf, die im Gebiet lange verschwunden war. Von herausragender Bedeutung sind auch einige Wasserwurzler-Gesellschaften mit der Wurzellosen Wasserlinse (Wolffia arrhiza) oder mit dem Schwimmfarn (Salvinia natans). Die oft dicht geschlossenen Seerosenbestände bieten für den Beobachter zwar einen ästhetisch schönen Anblick, sind jedoch relativ artenarm. Die großen Schwimmblätter der Seerose dunkeln die submerse Hydroflora ab und verhindern damit ihre Entwicklung, zumal in eutrophen Durchströmungsmooren die Sichttiefe des Wassers ohnehin gering ist.
Röhrichte sind im Odertal selten, weil entsprechende Flachwasserzonen mit ihren Verlandungsbereichen weitgehend fehlen. Einzig das Schwanenblumen-Röhricht ist besonders an den Kolkrändern im direkten Strombereich der Oder häufiger und fällt im Sommer durch die oft massenhaft erscheinenden tiefrosa leuchtenden Blütenstände der Schwanenblume (Butomus umbellatus) besonders auf. Auch der Wasser-Schwaden (Glyceria maxima) kann auf Schlammbänken, sedimentierten Kolken oder anderen Abgrabungen bei stark schwankenden Wasserständen dominieren.
In der Regel werden die Gewässer in den Poldern von nitrophilen Uferstauden- und Saumgesellschaften begrenzt, die prägende Strukturelemente in der Polderlandschaft sind. Die Zaunwinden-Engelwurz-Gesellschaft mit ihren riesigen Doldenblütenständen der Echten Engelwurz (Angelica archangelica) benötigt als Spezialistengesellschaft ganzjährig hohe Wasserstände bei geringer Strömungsgeschwindigkeit und guter Nährstoffversorgung. Oberhalb der Mittelwasserlinie wird sie durch die Nesselseiden-Zaunwinden-Gesellschaft ersetzt, in der sich die Baum-Seide (Cuscuta lupuliformis) und die Hopfen-Seide (Cuscuta europaea), beides wurzel- und blattlose Vollschmarotzer, an den Sprossachsen der anderen Hochstauden emporwinden und diese im Herbst oftmals niederdrücken. Andererseits können die Ufersäume auch mit Weidengebüschen oder einzeln bis gruppenweise stehenden baumförmigen Silberweiden besetzt sein, die im Bereich der Weichholzaue einen besonderen Vegetationstyp darstellen. Rein formal können diese Bestände als Weichholzauwaldreste eingestuft werden. Dies würde jedoch im krassen Gegensatz zu den wirklichen Auwäldern stehen, weil sich bei diesen Beständen kaum ein Waldklima herausbildet und damit ökologisch ganz andere Bedingungen gegeben sind. Besser wäre es, einen eigenen Biotoptyp für diese Bestände zu definieren und ihn analog zu ähnlich strukturierten Beständen, beispielsweise in Savannen oder Steppengebieten, als mitteleuropäischen „Galeriewald“ zu bezeichnen.
Die eigentlichen Polderflächen sind weitgehend waldfrei. Umfangreichere Seggenwiesen sind im Nordteil des Fiddichower Polders anzutreffen. Die charakteristische Gesellschaft der Polder und der Vordeichbereiche sind Rohrglanzgrasriede, die vom Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea) beherrscht werden. Je nach Lage zum Strom oder der Überflutungsdauer können sie sehr unterschiedlich ausgebildet sein. In ihnen finden einige der für Brandenburg charakteristischen Stromtalpflanzen wie die Weidenblatt-Schafgarbe (Achillea salicifolia), der Katzenschwanz (Leonurus marrubiastrum) oder auch der Wiesen-Alant (Inula britannica) optimale Wachstumsbedingungen. Auf höher gelegenen Standorten haben sich Fuchsschwanzwiesen gebildet, die aber infolge ihrer auch heute noch intensiven Nutzung einen wenig naturnahen Eindruck vermitteln und teilweise durch eine Übernutzung sogar ruderalisiert sind. Bei einer extensiven Nutzung dieser Standorte und vor allem bei einer einschürigen Mahd im Spätsommer ist auf solchen Standorten die in Europa insgesamt seltene kontinentale Brenndolden-Pfeifengras-Wiese (Violo-Cnidietum) entwickelt. Durch gezieltes Biotopmanagement in den letzten Jahren konnten ihre Restbestände gesichert werden. Sie expandieren gegenwärtig sogar.
Auf annähernd gleicher Feuchtigkeitsstufe entwickelt sich nach einer Auflassung dieser Wiesentypen eine wiesenähnliche Hochstaudenflur, die vor allem von der Glanz-Wolfsmilch (Euphorbia lucida) beherrscht wird. Von den großen, gelben Scheinblütenständen der Wolfsmilch im Frühsommer bis hin zu den blauen Blütenständen der Astern im Herbst gehört diese Pflanzengesellschaft zu den Höhepunkten der Vegetation des unteren Odertals.
Weiterführende Literatur
Vössing, A. (1998): Der Internationalpark Unteres Odertal – ein Werk- und Wanderbuch, ISBN: 3877769349