Natio­nal­park vor der Abwicklung

Novel­lie­rung – das heißt Abschwä­chung – des Natio­nal­park­ge­set­zes wider­spricht bran­den­bur­gi­schen, bun­des­deut­schen und inter­na­tio­na­len Vor­ga­ben und Rahmenbedingungen

In der von dem bran­den­bur­gi­schen Minis­ter­prä­si­den­ten und SPD-Lan­­des­­par­­tei­­vor­­­si­t­­zen­­den Platz­eck unter­zeich­ne­ten Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung steht unter dem Stich­wort Natur­schutz wenig zu lesen, nur, dass das Natio­nal­park­ge­setz novel­liert, das heißt abge­schwächt, wer­den soll. Dabei ist bemer­kens­wert, dass eben die­ses Gesetz vor fast genau 10 Jah­ren vom damals noch grü­nen Umwelt­mi­nis­ter Platz­eck erar­bei­tet und vom Land­tag mit gro­ßer Mehr­heit ver­ab­schie­det wor­den ist. Als Grün­de für die­sen plötz­li­chen und radi­ka­len Sin­nes­wan­del wer­den ins­be­son­de­re vom zustän­di­gen bran­den­bur­gi­schen Land­wirt­schafts­mi­nis­ter Woid­ke drei Punk­te genannt:

1. Der Natur­schutz im All­ge­mei­nen und der Natio­nal­park im Beson­de­ren ver­hin­dern Wirt­schafts­an­sie­de­lun­gen und die Ent­ste­hung neu­er Arbeitsplätze.

Die­ser Vor­wurf ist nie­mals begrün­det, erst recht nie bewie­sen wor­den und trifft, zumin­dest für das Unte­re Oder­tal, nicht zu. Das Gegen­teil ist der Fall. Durch den Natio­nal­park ent­stan­den zahl­rei­che zusätz­li­che Arbeits­plät­ze, nicht nur in der Natio­nal­park­ver­wal­tung und in der Natur­wacht, son­dern auch im gemein­nüt­zi­gen Natur­schutz und im Tourismus.

2. Der Natio­nal­park sper­re die Men­schen aus und müss­te für den Tou­ris­mus stär­ker erschlos­sen werden.

Die­se Ana­ly­se ist falsch und die For­de­rung unsin­nig. Das Wege­netz im Natio­nal­park ist äußerst dicht. Dar­über hin­aus ste­hen für den bran­den­bur­gi­schen Natur­tou­ris­mus vor allem die zahl­rei­chen und groß­flä­chi­gen Natur­par­ke und Bio­sphä­ren­re­ser­va­te zur Ver­fü­gung, der Natio­nal­park selbst nimmt noch nicht ein­mal 0,3% der Lan­des­flä­che ein. Hier hat, anders als in einem Natur­park, der Natur­schutz Vor­rang. Aber selbst im Unte­ren Oder­tal gibt es noch viel Platz für tou­ris­ti­sche Akti­vi­tä­ten, bei­spiels­wei­se in dem den Natio­nal­park ein­rah­men­den Land­schafts­schutz­ge­biet. Hier ist tou­ris­tisch noch nicht viel gesche­hen und viel Platz für zusätz­li­che Akti­vi­tä­ten Woid­kes. Unser Ver­ein hat ent­spre­chen­de Vor­schlä­ge gemacht, bei­spiels­wei­se die Hal­tung von attrak­ti­ven Groß­säu­gern in weit­läu­fi­gen Schaugehegen.

3. Dem Natio­nal­park feh­le es an Akzep­tanz in der orts­an­säs­si­gen Bevölkerung.

Die­ser Vor­wurf stimmt nur zum Teil und trifft vor­zugs­wei­se auf eini­ge Kom­mu­nal­po­li­ti­ker zu. Fest­zu­hal­ten bleibt, ein Natio­nal­park ist eben kein Stadt­park Schwedts und kein Regio­nal­park des Land­krei­ses Ucker­mark, son­dern, wie schon der Name sagt, ein Park für die deut­sche Nati­on und wir fin­den für Natio­nal­par­ke im All­ge­mei­nen und den Natio­nal­park Unte­res Oder­tal im Beson­de­ren eine über­wäl­ti­gen­de Zustimmung.

Dass die Akzep­tanz in der Regi­on, ins­be­son­de­re unter Funk­ti­ons­trä­gern, noch ver­bes­se­rungs­fä­hig ist, liegt vor allem an der wider­sprüch­li­chen und wenig ziel­ori­en­tier­ten Natio­nal­park­po­li­tik der Lan­des­re­gie­rung. Das ging schon mit dem Auf­ruf des sei­ner­zei­ti­gen Land­wirt­schafts­mi­nis­ters Zim­mer­mann 1992 los, die vom Kol­le­gen Umwelt­mi­nis­ter errich­te­ten Schran­ken zur Regu­lie­rung des Stra­ßen­ver­kehrs­net­zes im Natio­nal­park wie­der ein­zu­rei­ßen. Seit­dem ist der Regi­on von sei­ten der Lan­des­re­gie­rung nie klar­ge­macht und mit ent­spre­chen­den Zuwen­dun­gen unter­stützt wor­den, dass der Natio­nal­park ein wich­ti­ges, unum­kehr­ba­res Pro­jekt des Lan­des ist. Anstatt ver­söh­nend und ver­mit­telnd zu wir­ken, hat der zustän­di­ge Lan­des­mi­nis­ter eher die unter­schied­li­chen Akteu­re gegen­ein­an­der auf­ge­hetzt. Dar­über hin­aus ist das wie eine Mons­tranz vor­weg­ge­tra­ge­ne Akzep­tanz­ar­gu­ment schein­hei­lig. Bei ande­ren Lan­des­pro­jek­ten, die aus Grün­den des Gemein­wohls durch­ge­setzt wer­den sol­len, wie bei­spiels­wei­se beim Flug­ha­fen Schö­ne­feld, wird der mas­si­ve regio­na­le Wider­stand der betrof­fe­nen orts­an­säs­si­gen Bevöl­ke­rung völ­lig igno­riert. Wasch­kör­be­wei­se lagern die Ein­wen­dun­gen der Betrof­fe­nen beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt. Die Lan­des­re­gie­rung zeigt sich davon unbe­ein­druckt. Hier wird offen­sicht­lich mit zwei­er­lei Maß gemes­sen und es wird deut­lich, dass der Natio­nal­park eben bis­her kein ernst­haft betrie­be­nes Pro­jekt des Lan­des Bran­den­burgs war.

Die von den Geg­nern des Natio­nal­parks genann­ten Grün­de für eine Novel­lie­rung kön­nen daher nicht über­zeu­gen. Trotz­dem wur­de die Novel­lie­rung des Natio­nal­park­ge­set­zes, ins­be­son­de­re auf Betrei­ben des regio­na­len Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Bisch­off, in die Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung geschrie­ben. Was dar­un­ter zu ver­ste­hen ist, ist klar, denn die Koali­ti­ons­frak­tio­nen SPD und CDU haben schon vor der Wahl einen detail­lier­ten Novel­lie­rungs­ent­wurf beschlos­sen, der nun nach der Wahl, wenn auch auf stark geschrumpf­ter par­la­men­ta­ri­scher Basis, durch­ge­setzt wer­den soll. Land­wirt­schafts­mi­nis­ter Woid­ke hat die Natio­nal­park­ge­setz­no­vel­lie­rung als vor­dring­lich bezeich­net. Der Ver­ein der Freun­de des Deutsch-Pol­­ni­­schen Euro­­pa-Natio­nal­­parks Unte­res Oder­tal e. V. hält das Natio­nal­park­ge­setz von 1995 nicht für ein beson­ders gelun­ge­nes Gesetz, es ist wort­reich und inhalts­arm, aber es war damals ein prak­ti­ka­bler Kom­pro­miss zwi­schen den unter­schied­lichs­ten Erwar­tun­gen, Ansprü­chen und Interessen.

Die­ses schon damals erst im zwei­ten Anlauf gelun­ge­ne Kom­pro­miss­pa­ket soll­te nicht wie­der auf­ge­schnürt wer­den. Wer heu­te das Natio­nal­park­ge­setz novel­lie­ren will, will es ver­wäs­sern und abschwächen.

Das führt unwei­ger­lich zu erheb­li­chen Kon­flik­ten mit dem inter­na­tio­na­len, bun­des­deut­schen und bran­den­bur­gi­schen Natur­schutz­recht. Wür­de das Natio­nal­park­ge­setz wie geplant novel­liert, so blie­be letzt­end­lich vom Natio­nal­park nur noch der Titel, das Eti­kett sozu­sa­gen, übrig. Alle ande­ren Inhal­te, die einen Natio­nal­park wesent­lich aus­ma­chen, ver­schwän­den. Der För­der­ver­ein lehnt einen sol­chen ekla­tan­ten Eti­ket­ten­schwin­del kate­go­risch ab. Man muss ehr­lich mit den Leu­ten umge­hen. Wo Natio­nal­park drauf­steht, muss auch Natio­nal­park drin sein! Ein Natio­nal­park ist nicht etwas Belie­bi­ges, son­dern setzt bestimm­te Qua­li­täts­stan­dards vor­aus. Die sind fest­ge­legt von der Welt­na­tur­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on in der IUCN-Kate­­go­rie II, im Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz und im Bran­den­bur­gi­schen Landesnaturschutzgesetz.

1. IUCN-Kate­­go­rie II (Natio­nal­par­ke): Hier geht es um den Schutz bzw. um die Wie­der­her­stel­lung natür­li­cher Öko­sys­te­me. Min­des­tens 75%, frü­her 50% der Flä­che, müs­sen sich in einem von Men­schen nicht oder kaum beein­fluss­ten Zustand befin­den. Geschützt wer­den die natür­li­chen Abläu­fe. Tou­ris­ten und Besu­cher sind willkommen.

2. Bun­des­na­tur­schutz­ge­setz (2002) § 24 Absatz 2: Natio­nal­par­ke haben zum Ziel, im über­wie­gen­den Teil eines Gebie­tes den mög­lichst unge­stör­ten Ablauf der Natur­vor­gän­ge in ihrer natür­li­chen Dyna­mik zu gewähr­leis­ten. Soweit es der Schutz­zweck erlaubt, sol­len Natio­nal­par­ke auch der wis­sen­schaft­li­chen Umwelt­be­ob­ach­tung, der natur­kund­li­chen Bil­dung und dem Natur­er­leb­nis der Bevöl­ke­rung die­nen. Sie müs­sen sich (§ 24 Absatz 1 Satz 3) „in einem über­wie­gen­den Teil ihres Gebie­tes in einem von Men­schen nicht oder wenig beein­fluss­ten Zustand befin­den oder geeig­net sein, sich in einen Zustand ent­wi­ckeln oder in einen Zustand ent­wi­ckelt zu wer­den, der einen mög­lichst unge­stör­ten Ablauf der Natur­vor­gän­ge in ihrer natür­li­chen Dyna­mik gewährleistet“.

3. Bran­den­bur­gi­sches Natur­schutz­ge­setz (2004) § 20: Bei der Novel­lie­rung des Natur­schutz­ge­set­zes in die­sem Jahr wur­de der § 24 Absät­ze 1 und 2 (Natio­nal­par­ke) des Bun­des­na­tur­schutz­ge­set­zes wort­wört­lich übernommen.

Der Novel­lie­rungs­ent­wurf der Regie­rungs­frak­tio­nen SPD und CDU (27.01.2004) ver­folgt 3 Tendenzen:

1. Es soll kei­ne Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten hin zu einem natür­li­chen Flus­s­au­en-Öko­­­sys­­tem mehr geben. Alles, was auf Ent­wick­lung und Ver­än­de­rung hin­deu­tet, wird gestri­chen. Der gegen­wär­ti­ge sta­tus quo soll zemen­tiert werden.

2. Die bis­he­ri­gen Nut­zer des Gebie­tes – Land­wir­te, Fischer, Ang­ler, Jäger, Was­ser­sport­ler usw. – sol­len in ihren bis­he­ri­gen Mög­lich­kei­ten ihrem Hob­by nach­zu­ge­hen, nicht ein­ge­schränkt werden.

3. Die Befug­nis­se der Natio­nal­park­ver­wal­tung wer­den, obwohl ohne­hin schon mini­mal, wei­ter beschnit­ten. Ein­ver­neh­mens­re­ge­lun­gen wer­den gestri­chen, die Natio­nal­park­ver­wal­tung ist bei allen wich­ti­gen, den Natio­nal­park betref­fen­den Ent­schei­dun­gen nur noch zu betei­li­gen (Beneh­mens­re­ge­lun­gen). Dafür ist bei allen wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen zukünf­tig das Ein­ver­neh­men mit dem Natio­nal­park­ku­ra­to­ri­um her­zu­stel­len. Die Mit­glied­schaft im Kura­to­ri­um, im Natio­nal­park­ge­setz unter § 14 gere­gelt, wird völ­lig auf den Kopf gestellt. Die Ver­tre­ter der Bun­des­mi­nis­te­ri­en und die Hälf­te der Ver­tre­ter der Natur­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen flie­gen raus, statt des­sen kom­men die Ver­tre­ter der Lob­by­is­ten­ver­bän­de der Land­wir­te, Förs­ter, Ang­ler, Fischer und Jäger hin­ein. Dem so völ­lig umge­stell­ten Kura­to­ri­um wird in allen Natio­nal­par­kan­ge­le­gen­hei­ten ein Veto­recht eingeräumt.

In einem Natio­nal­park, der die­sen Namen auch ver­dient, haben aber die natür­li­chen Ent­wick­lungs­ab­läu­fe Vor­rang. Wir nen­nen sie Wild­nis­ge­bie­te. Man kann sie auch Zone-I-Gebie­­te oder Total­re­ser­va­te nen­nen. Das Natio­nal­park­ge­setz sieht die Aus­wei­sung von 50% der Gesamt­flä­che als Zone-I-Flä­chen vor. Dafür hat der Gesetz­ge­ber 15 Jah­re Zeit gege­ben, eine aus­rei­chen­de Zeit­span­ne, soll­te man mei­nen. Die­se Zeit­span­ne noch ein­mal zu ver­län­gern bringt nichts. Die mit der Aus­wei­sung von Zone-I-Gebie­­ten ver­bun­de­nen Pro­ble­me sind auch in 10 oder 15 Jah­ren nicht leich­ter, son­dern eher noch schwie­ri­ger zu lösen, auch wenn die Poli­ti­ker von heu­te dann nicht mehr im Amt und in der Ver­ant­wor­tung sein wür­den. Aber eine sol­che Ein­stel­lung ist kurz­fris­ti­ge Interessenpolitik.

Zusam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass es kei­ne aus­rei­chen­den Grün­de für eine Novel­lie­rung des Natio­nal­park­ge­set­zes gibt. Der von den Koali­ti­ons­frak­tio­nen vor­ge­leg­te Novel­lie­rungs­ent­wurf wür­de dazu füh­ren, dass außer dem Eti­kett „Natio­nal­park“ nichts übrig blie­be. Der sta­tus quo wür­de zemen­tiert, eine Ver­än­de­rung oder eine Ent­wick­lung wäre nicht mehr mög­lich. Schon heu­te ist der Natio­nal­park, wie die Fach­leu­te des Minis­te­ri­ums deut­lich her­aus­ge­ar­bei­tet haben, der schwächs­te in Deutsch­land. Ist das der typi­sche Bran­den­bur­ger Weg? Bran­den­burg wür­de sich mit einem sol­chen Eti­ket­ten­schwin­del inter­na­tio­nal und bun­des­weit der Lächer­lich­keit preisgeben.

Das Land Bran­den­burg steht also am Schei­de­weg, ent­we­der auf 0,3% der Lan­des­flä­che einen wirk­li­chen Natio­nal­park ent­spre­chend dem bestehen­den Natio­nal­park­ge­setz umzu­set­zen, oder, wenn man meint, sich einen Natio­nal­park nicht leis­ten zu kön­nen, die Flä­che in einen dem Tou­ris­mus gewid­me­ten Natur­park umzu­ge­stal­ten. Dann aber müss­te Bran­den­burg mit den über­wie­gend nega­ti­ven Fol­gen einer sol­chen Ent­schei­dung zurecht­kom­men. Dem Tou­ris­mus wäre nicht gedient, denn Natur­par­ke gibt es in Bran­den­burg zur Genü­ge. Die mit einem Natio­nal­park bestehen­den angeb­li­chen oder tat­säch­li­chen Pro­ble­me wür­den mit einer sol­chen Ent­schei­dung auch nicht gelöst. Bran­den­burg aber hät­te sich mit sei­ner Natur­schutz­po­li­tik wie­der ein­mal grenz­über­schrei­tend und gren­zen­los blamiert.

Es gibt kei­nen Zoo ohne Tie­re, kein Aqua­ri­um ohne Was­ser, kei­ne Oper ohne Orches­ter und eben auch kei­nen Natio­nal­park ohne Wild­nis­ge­bie­te – ohne mensch­li­che Ein­grif­fe auf min­des­tens der Hälf­te der Flä­che. Man muss sich entscheiden.

Anders als Minis­ter Woid­ke sehen wir im Natio­nal­park und im Natio­nal­park­ge­setz kei­nen „Klotz am Bein“, son­dern eine Chan­ce für eine struk­tur­schwa­che Regi­on. Die­se Chan­ce soll­ten wir gemein­sam nutzen